Mädchen liest ein Buch und hält sich den Kopf

Leseschwierigkeiten

Eine orthoptische Untersuchung kann Klärung und Hilfe bringen

Lesen zu können, zählt zu den grundlegenden Kulturtechniken. Wenn Lesen erschwert erlernt wird bzw. durch Sehminderung oder Hirnerkrankung nicht mehr wie gewohnt gelingt, ist das eine gravierende Einschränkung für Betroffene, die oft auch mit Scham behaftet ist. 

Eine orthoptische Abklärung kann Klärung und Hilfe bringen. 


Wie entstehen Leseschwierigkeiten?

Um flüssig lesen zu können, müssen zahlreiche Schritte reibungsfrei ineinandergreifen: 

  • Buchstaben erkennen, Buchstaben zu Worten verbinden, bekannte Worte wieder erkennen
  • Konzentration auf den Inhalt des Gelesenen
  • Augenbewegungen (Blick-Ziel-Bewegungen) entlang der Worte in der Zeile bzw. über den Zeilenwechsel hinweg
  • Möglichst dauerhaft in der Lesedistanz scharf UND einfach sehen

Kommt es bei diesen Schritten zu Schwierigkeiten, gelingt Lesen oft nur kurz, mit Anstrengung oder nicht (mehr) sinnerfassend.


Formen der Leseschwierigkeiten und mögliche Ursachen

  • Legasthenie
    Verminderte Lesegeschwindigkeit, vermehrte Fehler, Auslassungen, Vertauschungen, häufig vermehrte Grammatikfehler, etc. [trotz ausreichend guter Beschulung, normaler Intelligenz und Ausschluss von Hör- und Sehminderung]1,2
    Legasthenie ist nicht heilbar, die Betroffenen lernen damit umzugehen.
     
  • Okuläre Lesestörung
    Die Symptome sind ähnlich der Legasthenie, werden aber durch Augenprobleme verursacht. Häufig ist ein beeinträchtigter Scharfstell-Mechanismus (Hypoakkommodation) oder eine instabile Zusammenarbeit der beiden Augen die Ursache. Durch die Bildunschärfe oder das Wegdriften eines Auges kann das Gelesene nicht dauerhaft scharf und einfach gesehen werden. Lesen wird häufig vermieden, da es auch Augen- und Kopfschmerzen verursachen kann.4 
    Mit idealer Brille (Gleitsichtbrille, Nahbrille, Prismenbrille) kann die okuläre Lesestörung rasch behoben werden und es tritt eine deutliche Verbesserung der Lesebeschwerden ein. 
ältere Frau beim Lesen einer Zeitung
  • Erworbene Lesestörung
    Im Rahmen von Hirnerkrankungen (Sehstörung bei Hirnerkrankung) kann nach normalem Lese-Rechtschreib-Erwerb das Erkennen von Buchstaben und das Lesen deutlich beeinträchtigt sein. Ursache können Wahrnehmungsprobleme, Störungen des peripheren Sehens etc. sein. Hier kann neben der richtigen Brille eine orthoptische Rehabilitation hilfreich sein. Diese zielt darauf ab, über Kompensationsstrategien die Lesekompetenz zu verbessern.
     

Egal ob Leseschwierigkeiten bereits beim Lesenlernen in der Grundschule auffallen (Legasthenie; okulare Lesestörung) oder später im Leben erworben werden: stets ist dies für Betroffene belastend bzw. verwirrend. 


Was tun bei Leseschwierigkeiten?

Orthoptist:innen sind die medizinischen Expert:innen zur Seh-Funktionsdiagnostik, sowohl bei okulären Lesestörungen als auch bei erworbenen Lesestörungen zur visuellen Rehabilitation. 

In Zusammenschau mit dem Organbefund (augenärztlicher Befund) kann entschieden werden, wie Ihnen am besten geholfen werden kann: 

  • Brillen (Fern-, Nah- oder Gleitsichtbrille)
    Erworbene und angeborene Leseprobleme, sowie auch die echte Legasthenie profitieren vom Ausgleich auch kleinster Fehlsichtigkeiten mit individuell an die Bedarfe angepassten Sehhilfen. 
     
  • Prismen 
    Bestehen Störungen im Zusammenspiel der Augen, kann die Anpassung von Prismen erforderlich und hilfreich sein. 
     
  • Augentraining (orthoptisches Visualtraining) ist aus medizinischer, orthoptischer Sicht in ausgewählten Fällen hilfreich. Beachten Sie, dass Sie im Internet viele Anbieter von Augentrainings finden werden. Übungen sind ohne Berücksichtigung des individuellen Befundes selten zielführend. Häufig sind die Übungsangebote auch teuer. Fragen Sie Ihre Orthoptistin/Ihren Orthoptisten um Schaden zu vermeiden.
     

Die Diagnose Legasthenie darf erst gestellt werden, 
wenn Fehlfunktionen der Augen ausgeschlossen worden sind. 

Entscheidend ist, eine augenbedingte Lesestörung auszuschließen. Eine solche Untersuchung umfasst neben der Überprüfung der Sehkraft und dem Ausschluss einer Fehlsichtigkeit insbesondere die Prüfung der Zusammenarbeit der Augen, der Augenbewegungen, der Belastbarkeit des Sehsystems inkl. Scharfstellmechanismus, etc. Diese Parameter sind Grundelemente der orthoptischen Untersuchung!


Autorin

FH-Prof. Mag. Ruth E. Resch, Orthoptistin

Quelle

  1. BVL (Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie) (2020). Legasthenie. Verfügbar unter: https://www.bvl- legasthenie.de/legasthenie/symptomatik.html, Zugriff am 21.07.2020.
  2. Klicpera, C., Gasteiger-Klicpera, B. (1993). Lesen und Schreiben: Entwicklung und Schwierigkeiten. Bern: Huber.
  3. Oberländer, H. (2004). Visuelle Wahrnehmung. Seminarskript. JHV des VDOÖ: Wien.
  4. Resch, R.E. (2012). Hypoakkommodation: Diagnostik ‐ Klinisches Bild – Blickbewegungen. Diplomarbeit Naturwissenschaftliche Fakultät Salzburg, Fachbereich Psychologie.