Gehirnregionen farbig dargestellt

Sehstörungen bei Hirnschädigungen

"Komische" Seheindrücke können Hinweis auf eine Sehstörung sein.

Wir erfassen unsere Umwelt vor allem mit den Augen. Beschwerdefrei ist Sehen, wenn es möglichst nebenbei, ohne Anstrengung und stabil ist. 
Nach Erkrankungen oder Verletzungen des Gehirns kommt es häufig zu Veränderungen des „Sehens“. Da der Mensch sich im Alltag vor allem auf das Sehsystem verlässt, sind kleine Veränderungen oft sehr störend. 
 

SEHEN ist mehr als gute Sehkraft bei einer Sehschärfenprüfung!

Vermeintlich nicht klar zuordenbare, komische Sehveränderungen können wichtige Hinweise auf Ursache und Therapieansätze einer Sehstörung geben.


Wichtige Parameter von Sehen UND Wahrnehmen sind

Orthoptistin zeigt einer Frau eine Sehzeichentafel
  • gute Sehkraft BEIDER Augen (Fehlsichtigkeit, Amblyopie, Asthenopie)
  • frei sein von Sehkraftschwankungen (Kontrastsehen)
  • einfaches Sehen (Doppelbilder)
  • intakte Beweglichkeit der Augen (Augenbewegungsstörungen)
  • gutes peripheres Sehen (Gesichtsfeld)
  • intaktes Farbsehen
  • gutes Sehen bei schlechten Licht- und Kontrastverhältnissen (Kontrastsehen) 
  • Erkennen von Objekten, Gesichtern oder Szenen
  • zeitgleiches „Erkennen“ von mehreren Objekten


Welche Beschwerden können in Folge von Hirnschädigung auftreten?

Mit der Verarbeitung der Seheindrücke sind viele Hirnareale befasst. Verändertes Sehen tritt daher bei Erkrankung oder Verletzung des Gehirns häufig auf (20-50%1). 
Die subjektiven Beschwerden sind dabei oft unspezifisch:2

  • verändertes, komisches Sehen
  • verschwommenes Sehen (spontan oder bei längerem Schauen, Nähe/Ferne)
  • angestrengter Blick, Augenkneifen 
  • Doppelbilder, Verkippt- oder Schief-Sehen, wackelnder Seheindruck
  • Danebengreifen, Probleme beim Einschätzen von Distanzen, Probleme beim Orientieren im Raum
  • Anstoßen und Übersehen von Hindernissen, Störung des peripheren Sehens
  • verringerte Belastbarkeit des Sehsystems, rasches Ermüden (der Augen) ev. mit Augen- und Kopfschmerz, Augentränen
  • Probleme beim Lesen (nur langsam, Auslassungen, erschwertes Finden von Anfang bzw. Ende der Zeile…)
  • herabgesetzte, veränderte Farbwahrnehmung
  • Blendung, Lichthunger, herabgesetzte Kontrastwahrnehmung 
  • Fallneigung, Unsicherheit beim Gehen oder Stehen, Schwindel
  • Probleme beim Stiegen steigen

Gerade weil subjektiv oft nur „komisches, verändertes“ Sehen auffällt, ist eine umfassende orthoptische Diagnostik der Sehfunktionen (neben der organischen Untersuchung des Auges) wichtig, da auch einfache Fehlsichtigkeiten oder trockene Augen vergleichbare Symptome machen können. Erst durch die Zusammenschau von Organbefund und Funktionsbefund kann eine zielführende Therapie eingeleitet werden (visuelle Rehabilitation).


Was tun bei unklaren Sehveränderungen

Frau blickt auf einen kleinen Objektwürfel

Sehstörungen nach Hirnveränderungen sind oft unspezifisch und werden genau deshalb oft nicht ernst genommen bzw. erkannt. Unerkannte bzw. unbehandelte SEH-Störungen behindern Therapien nach einer erworbenen Gehirnschädigung (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Neuropsychologie) oder machen sie bei starker Ausprägung sogar unmöglich1

Orthoptist:innen sind die medizinischen Expert:innen zur SEH-Funktionsdiagnostik und für die SEH-Rehabilitation (visuelle Rehabilitation). 

In Zusammenschau mit dem Organbefund (augenärztlicher Befund) kann entschieden werden wie Ihnen am besten geholfen werden kann: Bei Bedarf können Hilfsmittel (Brille, Augenabdeckungen, Prismen) angepasst werden. Bei Augenbewegungsstörungen kann auch eine Operation oder ein Beweglichkeitstraining sinnvoll sein; nach Hirnschädigung auch visuelle Rehabilitations-Maßnahmen.

Wichtig ist, dass SIE genau über ihren Befund und WIE sie am besten „Schauen“ aufgeklärt werden.

MERKE: Oft kann mit wenigen und einfachen Mitteln orthoptisch eine Verbesserung erzielt werden! Bei Kindern wirkt sich eine Hirnschädigung anders aus als beim Erwachsenen.


Autorin

FH-Prof. Mag. Ruth E. Resch, Orthoptistin

Quellen

  1. Kerkhoff, G. (2000). Neurovisual rehabilitation: recent developments and future directions. J Neurol Neurosurg Psychiatry, 68(6), 691-706. 
  2. Weidinger, R. & Resch, R. E. (2022). Orthoptik bzw. Orthoptist_innen in der Rehabilitation_2.0 (Modifizierte Version der Zusammenfassung für das Therapiezentrum am Gmundnerberg, 2020). Wien: orthoptik austria.