Frau sitzend am Tisch bei orthoptischen Übungen

Gesichtsfeldausfälle

Mit Augentraining den Alltag verbessern

Nach Hirnerkrankungen treten häufig Sehstörungen in Form von Gesichtsfeldausfällen1auf. Dabei geht das periphere Sehen teilweise verloren. Ohne peripheres Sehen leidet die Orientierung, man stößt leicht an Hindernisse und die Lesefähigkeit nimmt ab. Die Ursache sollte rasch abgeklärt und wenn möglich behandelt werden. Bei bleibenden Gesichtsfeldausfällen hilft die kompensatorische Sehrehabilitation. 
 

Was ist ein Gesichtsfeldausfall?

Das Gesichtsfeld ist die Summe aller Objekte die bei unbewegten Augen und Kopf gesehen werden können. Bei intaktem Gesichtsfeld ist es möglich, einen Bereich von 70 Grad nach links oder rechts, von circa 40 Grad nach oben und 60 Grad nach unten zu erfassen.2

Bei Gesichtsfeldausfällen auf einem Auge können die Sehinformationen des intakten Gesichtsfeldes des anderen Auges den Gesichtsfeldausfall oft kompensieren. Tritt jedoch ein Gesichtsfeldausfall auf beiden Augen im gleichen Bereich (=homonym) auf, besteht keine Kompensationsmöglichkeit. Solche neurologisch bedingten Gesichtsfeldausfälle betreffen meist ein Viertel oder die Hälfte eines Gesichtsfeldes (Halbseiten- oder Quadrantenausfall). Sie entstehen, wenn die Sehbahn im Gehirn z.B. durch einen Schlaganfall, eine Hirnverletzung oder einen Hirntumor geschädigt wurde.
 

Beschwerden durch Gesichtsfeldeinschränkungen

Nicht kompensierbare (homonyme) Gesichtsfeldeinschränkungen führen im Alltag meist zu 

  • Probleme beim Einschätzen von Entfernungen
  • Anstoßen an Hindernisse, erhöhte Sturz- und Verletzungsgefahr 
  • Danebengreifen, Umkippen von Gegenständen
  • Probleme beim Lesen: bei linksseitigen Gesichtsfeldausfällen wird z.B. der Zeilenanfang nicht gefunden, Wörter werden nur halb gelesen und generell langsam und stockend gelesen
  • erschwertes Auffinden von Gegenständen (= Explorationsstörung) z.B. am Schreibtisch, im Supermarktregal mit unsystematischer Suchstrategie
  • Orientierungsstörungen
  • Verlaufen in überfüllten Räumen
  • visuelle Vernachlässigung einer Körperhälfte (visueller Neglect). Das bedeutet, dass die Patienten nicht richtig wahrnehmen, dass sie auf einer Seite nichts sehen können
     

Was tun bei Gesichtsfeldausfällen?

Die beste Möglichkeit, frühzeitig kompetente Hilfe auf Grundlage der medizinischen Augenheilkunde zu bekommen, ist die Kontaktaufnahme mit Augenfachärzt:innen und Orthoptist:innen. In der Zusammenschau von Organbefund (augenärztlicher Befund inkl. Gesichtsfeldmessung und neurologischer Befund - idealerweise nicht älter als drei Monate) und neuroorthoptischer Untersuchung wird entschieden, wie im Einzelfall am besten geholfen werden kann und ob visuelle Rehabilitationsmaßnahmen angezeigt sind.
 

Orthoptisches Gesichtsfeldtraining zielt darauf ab, den fehlenden Gesichtsfeldbereich mit vermehrten Augenbewegungen in diesen Bereich zu kompensieren. Dadurch kann eine spürbare Verbesserung im Alltag erreicht werden3. (Kompensationsverfahren)


Das Training wird auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt und ein- bis zweimal wöchentlich in 30- bis 60-minütigen Einheiten durchgeführt.

Frau am Tisch sitzend zeigt auf Vorlage mit Punkten

Trainingsinhalte sind

  • Augenbewegungen ins „blinde Halbfeld“ zu machen, d.h. in den Gesichtsfeldausfall hinein: langsame Folgebewegungen und rasche Zielbewegungen (Sakkadentraining)
  • das Erlernen von Suchstrategien zunächst am Schreibtisch, dann in Bewegung (Explorationstraining)
  • Lesetraining mit Hilfsmitteln und vermehrten Augenbewegungen, um trotz Gesichtsfeldausfall wieder rasch lesen zu können 

Für das Training werden Spiele, Papier-Bleistift Aufgaben und (professionelle klinische Reha) PC-Programme eingesetzt.

Augenbewegungen sind schneller als Kopfbewegungen.

Betroffene drehen manchmal den Kopf hin und her um „mehr zu sehen“. Das hilft aber kaum, macht manchmal sogar schwindelig. Die Kopfbewegungen sind viel langsamer als die zu trainierenden kompensatorischen Augenbewegungen. Deshalb sollte der Kopf möglichst gerade gehalten werden.


Ein Heilen oder Wegtrainieren eines Gesichtsfeldausfalles ist mit therapeutischen Verfahren nicht möglich. Restitutionsverfahren mit dem Ziel der Wiederherstellung des Gesichtsfeldes werden nicht empfohlen. Es fehlt dafür die wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit. Zudem sind Restitutionsverfahren für Gesichtsfeldpatient:innen kontraproduktiv, da sie Augenbewegungen unterbinden. Bei diesen Verfahren fixieren die Patient:innen einen Punkt auf dem Bildschirm und sind angehalten keine Augenbewegungen zu machen. Dies verhindert das Erlernen der kompensatorischen Augenbewegungen, die im Alltag erforderlich sind, um den ausgefallenen Gesichtsfeldbereich zu überblicken.5

Mit den oben beschriebenen einfachen Kompensationstrainings ist dagegen bereits nach wenigen Sitzungen eine Verbesserung im Alltag spürbar.4


In der Orthoptist:innen-Suche finden Sie Orthoptist:innen die Kompensationstraining bei Gesichtsfeldausfällen anbieten. Wählen Sie dazu den Tätigkeitsbereich "visuelle Neurorehabilitation" aus.


Autorin

Doris Martius-Nusser, Orthoptistin

Quelle

  1. Zihl, J. (2006). Zerebrale Blindheit und Gesichtsfeldausfälle. In H.-O. Karnath, & P. Thier, Neuropsychologie (2. Aufl.) (S. 88-96). Heidelberg: Springer.
  2. Sachsenweger, M. (2003). Augenheilkunde (2. Auflage). Stuttgart: Thieme.
  3. Zihl, J. (2011). Neuropsychological Rehabilitation: A Modular Handbook. Rehabilitation auf Visual Disorders After Brain Injury (2nd Edition). New York: Psychology Press.
  4. Groh-Bordin, C., & Kerkhoff, G. (2010). Elementare visuelle Leistungen: Visus, Gesichtsfeld und verwandte Funktionen. In P. Frommelt, & H. Lösslein, NeuroRehabilitation: Ein Praxisbuch für interdisziplinäre Teams (S. 190-205). Berlin: Springer.
  5. Reckert, I. (2023). Sehen findet im Gehirn statt. Ein orthoptischer Ratgeber für die Rehabilitation hirnverletzter Erwachsener. Stuttgart: Kohlhammer.